Zack die Bohne: Probenwochenende 2008 in Oberwesel

Oberwesel, die Stadt der Türme und des Weines! Kein geringeres Ziel hatten wir uns für das 2008er Probenwochenende ausgesucht. Und was die wenigsten wissen: Das obere Mittelrheintal ist die Heimat unsere El Presidente, Ralf H., und deswegen natürlich nicht ohne Grund Teil des Weltkulturerbes. Wenn ich nicht zufällig davon gewusst hätte, wäre mir die innige Verbindung unseres Präsidenten zu dieser Gegend aber spätestens auf der Hinfahrt bewusst geworden. Schon im Vorfeld des Wochenendes hatten Ralf H., Frank W. und einige andere aus dem Core Team ca. 297 E-Mails zu der Frage ausgetauscht, welchen Wein wir für das Wochenende besorgen sollten und wie man diesen am besten in das Gästehaus schmuggeln könne.

Dann kam der Freitag Abend (die E-Mail-Flut hatte zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt), und ich befand mich mit Ralf und unserem Alterspräsidenten, Konsul Toni D., auf der Fahrt nach Oberwesel (standesgemäß in Tonis geräumigem Mercedes). Ralf war unser Navigator, und lenkte den Stern auf der Kühlerhaube über einen kleinen Umweg zur Jugendherberge, um beim Weingut "Toni Jost" in Bacharach einen Zwischenstopp einzulegen. Ich blieb aus Faulheit im Wagen sitzen, und nahm an, dass nur schnell einige Kartons einzuladen seien. Mitnichten. Nach einiger Zeit blickte ich gelangweilt zur Seite, und mein Blick fiel durchs Fenster des Anwesens auf eine Weinprobe in vollem Gange. Es hatte durchaus etwas Anheimelndes, durch die grün getönten Scheiben das Profil unseres Präsidenten zu betrachten, der wieder und wieder erst die Nase ins Glas steckte, um dann einen kräftigen Schluck zu nehmen. Allerdings hätte ich noch lieber am Abendessen in der Jugendherberge teilgenommen, welches sich unterdessen seinem Ende näherte. Irgendwann kamen die beiden aber wieder zum Vorschein (mit einigen Karton Wein und einer ordentlichen Fahne), und wir konnten uns doch noch auf das leckere Pangasiusfilet a la Jugendherberge stürzen. Eine positive Überraschung, denn ich hatte mit ein paar Stullen gerechnet.

Es folgte eine ausgedehnte Gesamtprobe mit Showeinlagen von Torsten H., der mit dem Notenständer in der Hand einen sensationellen Balanceakt auf dem Tisch hinlegte, um die Gardinen an den deckenhohen Fenstern herunterzulassen. Das war beeindruckend, und zeugte von großer Körperbeherrschung. Anschließend gab es aber Abzüge im Bereich der Feinmotorik, denn er ließ seinen Bucket Mute so oft auf die Erde fallen, bis dieser sich endgültig in seine Bestandteile zerlegt hatte. Aber was soll's, man kann eben nicht immer gewinnen. 

Erst der offizielle Beginn der Nachtruhe um 22.00 Uhr stoppte unseren Übungsfleiß, und wir begaben uns ins Bistro des Hauses, um die Probennachbesprechung zu beginnen. Die dort erhältliche Rieslingschorle bemühte sich zu gefallen, konnte uns aber dennoch nicht davon
 abhalten, nach kurzer Zeit in den Probenraum zurückzukehren, um die eingeschmuggelten Weinvorräte durchzutesten.

Wir saßen nach Kindergartenart im Stühlchenkreis, und so begab es sich, dass ich irgenwann in die peinliche Situation geriet, die Entstehungsgeschichte meiner neuen Frisur zu erzählen. Nun bin ich im Kreise der Band durch meine solistischen Aktivitäten ja daran gewöhnt, ein gewisses Mass an Peinlichkeit zu verbreiten. Insofern ließ ich mich dazu breitschlagen, über meine Frisur zu berichten. Meine Leser würde ich mit solchen Trivialitäten normalerweise niemals langweilen, doch hier muss ich es tun, um eine andere Geschichte zu erklären. Also, machen wir es kurz: Mein eigentlicher Plan war, das Haar ein letztes Mal in diesem Leben länger wachsen zu lassen, um mir die Frisur von Jogi Löw zuzulegen. (Und anschließend natürlich hautenge weiße Hemden.) Da ich aber für die Übergangsfrisur überraschend gutes Feedback erhielt, beschloss ich, dabei zu bleiben. So weit die Fakten über meine Frisur. Am nächsten Morgen brachte Toni dann eine weiß-gelbe Kappe (siehe Foto) mit zur Probe und drückte sie mir in die Hand. Ich wusste damit nichts anzufangen und legte sie achtlos zur Seite (in der Annahme, er habe sie irgendwo gefunden). Erst später stellte sich heraus, dass er sie von seinem sauer verdienten Geld im Jugendherbergsshop erstanden hatte, weil "Jugi" darauf steht. Das war mir natürlich sehr unangenehm. Zu guter Letzt hätte ich die Kappe dann fast noch in Tonis Auto liegenlassen, als er mich am Sonntag nach Hause fuhr. Peinlicher geht es ja kaum. Toni hat mir trotzdem zum Abschied eine Flasche Wein geschenkt -- das hat Klasse, oder? Von nun an wird die Kappe einen Ehrenplatz erhalten, sowohl in meinem Schrank als auch in meinem Herzen.

Unsere gemütliche Probennachbesprechung entwickelte eine gewisse Eigendynamik und endete erst gegen 3.00 Uhr morgens. Deswegen blieben nur sechseinhalb Stunden, um uns für die nächste Gesamtprobe zu regenerieren. Allerdings konnten einige von uns diese Zeit voll zum Ausschlafen nutzen, denn seltsamerweise war nicht jedem nach Frühstück zumute. Ein mysteriöses Unwohlsein, man kann es fast eine Magenverstimmung nennen, machte die Runde. Am Wein kann es eigentlich nicht gelegen haben -- der war schließlich von unserem Präsidenten persönlich verkostet. Ich führe die Beschwerden auf die Luftumstellung zurück -- am Mittelrhein herrscht nämlich ein ganz besonderes Mikroklima, und wenn man in dieser Beziehung empfindlich ist, hat man sich schnell was eingefangen.

Trotz dieser Ausfallerscheinungen begann die für 9.30 Uhr angesetzte Gesamtprobe fast pünktlich. Es ging weiter im Programm, bevor gegen 11.00 Uhr dann die Dozenten eintrudelten, die wir für zweiteilige Workshops (unterbrochen vom Mittagessen) verpflichtet hatten: 
  • Ernie Hammes (trp)
  • Uli Röser (tb)
  • Steffen Weber (sax)
  • Christoph Dangelmaier (Rhythmus)
Ich nahm natürlich am Trompetenworkshop teil. Über die anderen Workshops kann ich deswegen keine Details weitergeben, habe aber nur Gutes gehört. Ernie gab uns eine Menge Tipps, hörte sich unser Zusammenspiel im Satz an und machte Verbesserungsvorschläge. Er spielte uns auch viel vor und ließ uns so in vielfältiger Weise an seinem Erfahrungsschatz teilhaben. Es ist ein großes Privileg, dass wir uns in dieser Band die Zusammenarbeit mit Profis wie Thomas, Ernie, Uli, Steffen und Christoph leisten können. Hier liegen Chancen, musikalisch weiterzukommen, die wir nutzen sollten.

Als die Dozenten sich verabschiedet hatten, galt es, das Gelernte in einer weiteren Gesamtprobe vorzuführen (ja, meine Damen und Herren, wir waren fleißig an diesem Wochenende). Eine Veränderung war auch gleich für alle spürbar: Die Rhythmusgruppe spielte immer noch dynamisch und druckvoll, aber trotzdem eine ganze Ecke leiser. Und die anderen Sätze bemühten sich ebenfalls, zu glänzen. Irgendwann war dann aber Schluss, und
 unser CMO Thomas S. forderte uns auf, es an diesem Abend "mal richtig krachen" zu lassen.

Wir machten uns also mehr oder weniger frisch und anschließend auf den Weg in eine Art Besenwirtschaft, um den Abend bei Steaks, Käseplatten, Eis und viel Wein zu genießen. Und zack die Bohne näherte sich das Probenwochenende seinem intellektuellen Höhepunkt: Harald S., der sich bisher als Solist auf dem Tenorsaxophon hervorgetan hatte, zeigte ein neues Gesicht und teilte uns eine Wortneuschöpfung mit, die gut und gerne als Einwortgedicht in die Literaturgeschichte eingehen kann. Das Wort lautet:

Toleranzempfinden®™

Sie haben es gleich gemerkt: Dies ist viel mehr als nur ein Wort. Leichtfüßig kommt es als dreihebiger Jambus daher und überzeugt durch äußerste metrische Reinheit. Doch auch semantisch ist es allererste Sahne, denn es eröffnet zahlreiche Bedeutungsebenen, deren Tiefen und Untiefen wir für den Rest des Abends ergründeten und doch bis zum Morgengrauen noch nicht annähernd ausgelotet hatten.

Ich hätte wirklich niemals damit gerechnet, dass im Rahmen dieses Probenwochenendes ein solches Juwel entstehen würde. Und es ging noch weiter: Nach der Rückkehr in unsere Herberge diskutierten wir bei leichten Getränken intensiv darüber, eine musikalisch unterfütterte Dichterlesung auf die Beine zu stellen. Und zum guten Schluss des Abends tauschte ich mich mit Thomas noch bei einem kubanischen Zigarillo über das Thema "stream of consciousness bei James Joyce" aus. So langsam entwickelt die Band sich zu einem multidisziplinären Happening, bei dem die klassischen Grenzen zwischen Musik und Literatur verwischen. Wahrscheinlich ziehen wir alle demnächst zusammen und machen eine Künstlerkommune auf. Wer weiß, wo das noch hinführt?

Mit von der Partie an diesem Wochenende waren erstmals auch Mareike und Jonas, die den angeschlagenen Saxofonsatz personell verstärkten. Die beiden überzeugten durch ihre musikalische Leistung, fügten sich aber auch nahtlos in die anderen Aktivitäten ein und unterstützten uns tatkräftig bei Weinproben, der semantischen Analyse von "Toleranzempfinden" und der Suche nach neuen Businessmodellen für das 21. Jahrhundert.

Ich blicke also zurück auf ein äußerst ersprießliches Wochenende. Auch musikalisch hat es viel gebracht. Nachdem wir uns lange am Swing die Hörner abgestoßen haben, setzen wir zur Zeit ja voll auf Latin, und da gilt es, viel zu arbeiten. Für das Protokoll seien hier die Stücke gelistet, die wir geprobt haben:
  • Con Alma
  • Afro Blue
  • Quiet Night of Quiet Stars
  • La Almeja Pequena
  • Funky Cha Cha
  • The Girl from Ipanema
  • A Night in Tunisia
  • Chega de Saudade
  • Cubano Chant
Alle diese Nummern haben wir mehrfach geprobt und in einer weiteren Gesamtprobe am Sonntag Vormittag noch mal komplett durchgespielt. Ich gebe offen zu, dass mir Stücke wie zum Beispiel die beiden letztgenannten bis zu diesem Wochenende nicht besonders gefallen haben. Jetzt liebe ich sie alle! Oder sagen wir: fast alle. Mit Con Alma bin ich vorerst nur eine zarte Bindung eingegangen, die auch stellenweise noch von gegenseitigem Misstrauen geprägt ist. Aber das wird schon. Ich muss nur an meinem Toleranzempfinden arbeiten.

2 Kommentare:

  1. "Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang bleibt ein Narr sein Leben lang."

    Beim Probenwochende ist mir das wieder klar geworden, denn die Jahre ziehen vorbei.

    Herzliche Grüße
    Konsul Toni D.

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  2. Unser CMO hat auch eine besondere Begabung für Wortschöpfungen.
    Neu in den Redewendungenschatz aufgenommen werden kann: "Lack und Leder Solo". Damit ist nicht jemand gemeint der in Lack und Leder improvisiert, sondern durch seine bizzare Spielweise dieses Bild aus dem einschlägigen Milieu auf seine Spielweise projizieren kann.
    Dazu braucht es natürlich etwas Toleranzempfinden ...
    Wenn wir jetzt noch den kleinen Schritt zu "Glitzer und Federboa Solo" schaffen, dann kommen wir auch dem Latin näher.
    Schöne Grüße, Toni

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