Glück gehabt: Probe am 7. April 2010

Eine so angenehme Probe wie heute habe ich selten erlebt, denn ich konnte mich endlich einmal aufs Musikmachen konzentrieren. Gut, der obligatorische Kniff in die imaginäre Speckfalte von unserem CMO Thomas S. musste sein, aber davon abgesehen standen heute andere im Rampenlicht - zu Recht natürlich. Allen voran unser großer Meister selbst, der modisch gesehen wirklich keine Wünsche offen ließ. Er hatte seine knabenhaften Hüften in eine neue Jeans gehüllt, eine waschechte G-STAR, und trug dazu ein frühlingshaftes Oberteil von adidas. Hilfreich war die Information, dass die Hose sage und schreibe 109,00 EUR gekostet hatte, auch wenn Anja R. damit konterte, dass das neue Beinkleid "wesentlich günstiger" aussehe. Bilden Sie sich selbst ein Urteil:
     
Musikalisch gesehen ging es entspannt los mit Don't You Be Worried, und Thomas wurde nicht müde, uns daran zu erinnern, dass das Stück ziemlich "west coast" sei. Nun ist "west coast" ja streng genommen kein Adjektiv, und Sie sollten auch nicht den Fehler machen, an den West Coast Jazz zu denken, denn diese Nummer ist eher im Soul zu Hause. Thomas erklärte uns das so: "Die Männer an der West Coast haben extrem viele Muskeln und die Frauen -" Leider habe ich vergessen, was er über die Frauen gesagt hat, aber ich bin sicher, dass es sehr charmant war. Er kann ja im Grunde gar nicht anders.
Die Posaunen kassierten leider einen Rüffel, weil sie an einer Stelle unaufgefordert die Solo-Form verlassen hatten. Thomas erläuterte ihnen daraufhin folgendes: "Wenn keiner das Zeichen für "weiter" gibt, spielt ihr nicht weiter. Und wenn einer das Zeichen gibt, dann spielt ihr weiter." Alle Nicht-Posaunisten hatten großes Vergnügen an dieser Lektion. Aber so ist das eben: Diese Band ist ein Haifischbecken. Wenn du einen Moment nicht aufpasst, wirst du gefressen. 
Zur Ehrenrettung der Posaunen muss ich erwähnen, dass heute Abend kaum richtige Blasinstrumente zur Probe erschienen waren. Die Saxophone waren so gut wie vollzählig anwesend, aber echtes Blech war dünn gesät: Zwei Posaunen (später dann drei) und zwei Trompeten. Hier rächte es sich übrigens, dass ich die Übungsdisziplin über Ostern (mit einem Vorlauf von etwa zwei Wochen) doch sehr hatte schleifen lassen. Nach dem ersten Stück wurde die Schicht zwischen Mundstück und Schneidezähnen merklich dünner. Ich muss unbedingt etwas für meine Lippenmuskulatur tun.
Bei der zweiten Nummer, Cactus, wurde mir plötzlich bewusst, was ich in den letzten Wochen so vermisst hatte: Die Rhythmusgruppe war wieder vollzählig anwesend und machte mächtig Dampf. Angespornt durch verhaltene Kritik unseres Bandleaders ("Frank, was du da machst ist noch ein bissl komisch") zeigten sie enorme Spielfreude, tolle Soli und ein sattes Blending. In der Pause hörte ich, wie ein Saxophonist zum anderen sagte: "Der Olli ist heute aber mächtig motiviert." Ich kann es bestätigen, und es hat mir gut gefallen! Die anderen drei haben mich aber ebenso beeindruckt - und das ganz besonders bei der Passage, die Sie im Bild sehen.
Abgebildet werden die Klaviernoten, aber diesen Sechzehntellauf haben Gitarre und Bass ebenfalls zu spielen. Die drei haben diese Stelle synchron gespielt, und das nicht nur einmal, sondern, wie wir bei SAP sagen, reproduzierbar. Für jemanden wie mich, der schon bei beschwingten Achteln ins Schwitzen gerät, ist das schon sehr beeindruckend.
Ich habe eingangs gesagt, dass es mir heute Abend gelungen ist, das Rampenlicht zu meiden und kaum einen Anpfiff unseren CMOs zu kassieren. Nur einmal wäre das Ganze fast schiefgegangen. Thomas hatte Cactus noch einmal im B-Teil beginnen lassen, und nach einem kurzen Blick auf die Noten (13 Takte Pause) zog ich meinen Notizblock hervor, um einige Gedanken für den vorliegenden Beitrag zu notieren. Plötzlich brach die Musik ab. Lähmende Stille. Dann die Stimme unseres CMOs, scharf, fordernd und unerbittlich im Ton, und leider in Richtung der Trompeten. "Könnt ihr mir mal verraten, warum ihr nicht mitspielt?" Hatte ich mich verhört?
Hatte er "C" statt "B" gesagt? War dies das Ende? Die Deckenscheinwerfer brannten unbarmherzig. Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn. Meine Beine zuckten im mühsam unterdrückten Fluchtreflex. Plötzlich dann die erlösende Stimme von Rainer S. (4. Trompete): "Weil wir da Pause haben!" Also doch! "Na gut", erwiderte Thomas. "Da habt ihr ja noch mal Glück gehabt." Das war knapp. Tief empfundene Dankbarkeit breitete sich in mir aus.
Zum guten Schluss ließ Thomas das Stück Ohne Worte von Rainer Tempel auflegen und erklärte sich bereit, in Abwesenheit von Konsul Toni D. das Trompetensolo zu spielen.
Was soll ich sagen? Es war so schön. Und kostenlos! Manchmal muss man eben auch Glück haben.

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