Einfache Melodien für einfache Leute: Probe am 17. März 2010

Wenn Sie dieses Blog regelmäßig lesen, dann wissen Sie, dass der Mittwochabend grundsätzlich zu meinen persönlichen Lieblingsabenden gehört: gute Musik (oder solche, die es mal werden will), gut gelaunte Menschen (oder solche, die es mal werden wollen), gutes Essen und guter Wein. Was will man mehr?

Trotzdem fuhr ich heute Abend mit gemischten Gefühlen nach Walldorf, denn auf dem Programm stand: "Bläserprobe". Das bedeutet so viel wie "alle außer der Rhytmusgruppe dürfen/müssen kommen". Also kein Frank W., der einen Klavierklangteppich webt, in dessen Falten man sich verstecken kann. Kein Armin S., der ein Bassfundament baut, auf dem auch der ungeübte Solist sicher stehen kann. Kein Olli B., der unermüdlich wie ein Schweizer Uhrwerk den Takt schlägt. Und kein Jens W., dessen raffiniertes Saitenspiel so manchen falschen Ton der Posaunen oder Saxophone wettmacht. Nichts davon. Nada. Niente. Heute Abend gab es nur die nackte, blecherne Wahrheit. (Wenn Sie an dieser Stelle aufmerken und mit erhobenem Zeigefinger darauf hinweisen möchten, dass die Saxophone zu den Holzblasinstrumenten gehören: Jo, danke. Wissen wir.)

Vor diesem nachteiligen Hintergrund muss ich den Beginn der Probe als äußerst gelungen bezeichnen, auch wenn es hier eher um mein persönliches Schicksal geht. Wie Sie wissen, ist es schon seit längerem Brauch, dass Kleidung, Frisur und Gewicht ausgewählter Bandmitglieder jeden Mittwoch von unserem CMO Thomas S. begutachtet und bewertet werden. Nachdem Thomas mir letzte Woche noch hämisch in die Speckfalte gekniffen hatte, erging er sich heute Abend in Lobeshymnen über meine Figur. Wie konnte das geschehen? Es gibt nur eine Erklärung: Ich hatte den ganzen Tag damit zugebracht, geschätzte 4,27 m³ Sperrmüll aus Haus, Hof und Keller zusammenzutragen und an die Straße zu schleppen. Das Endergebnis sah wie folgt aus:

 

Dabei muss ich unglaublich viele Kalorien verbrannt haben. Leider neigt sich der Umzug dem Ende entgegen, so dass mit einer baldigen Gewichtszunahme zu rechnen ist. Die erste diesbezügliche Versuchung lief mir gleich zu Beginn der Probe über den Weg, als Torsten H. wenige Minuten nach Beginn eintraf und außer seiner Posaune auch zwei Flaschen Sekt und einige Bleche Selbstgebackenes mitbrachte, um mit uns ein freudiges Ereignis zu feiern. 
Eine lobenswerte Aktion, die unseren Bandleader dazu veranlasste, gleich nach dem ersten Stück (Cactus) eine Pause anzuordnen. Danach ging es mit Don't You Be Worried als zweiter Nummer des Abends weiter, und wie sich hier herausstellte, waren wir nicht die einzigen, die etwas zu feiern hatten: In der Kantine des SAP-Schulungszentrums, in dessen Foyer wir proben, waren mindestens 50 Kolleginnen und Kollegen versammelt, die ständig in kleinen Grüppchen, Wein- oder Biergläser balancierend, an uns vorbei liefen. Dies hätte nicht weiter gestört, doch irgendwann strömte die ganze Mannschaft geschlossen ins Foyer und stellte sich zehn Meter vor uns auf, um Gruppenfotos zu schießen. Die Szene, die sich mir nun darbot, war so eindrucksvoll, dass sie dem modernen Theater entsprungen zu sein schien:
  • Vor uns eine Gruppe von ca. 50 Menschen, in der jeder in ohrenbetäubender Lautstärke mit dem am weitesten entfernten Kollegen im Gespräch zu sein schien und gleichzeitig in die Kamera lächelte.
  • Vor dieser Kulisse ein verzweifelt dreinblickender Bandleader, der verbissen "das stört gar nicht, nein das stört uns gar nicht" vor sich hin murmelte und versuchte, die Konzentration der Musikerinnen und Musiker auf die Noten zu lenken.
  • Hinter der Fotogruppe öffnete sich ab und zu die Tür des Sanitätsraums, in den unser Präsident Ralf H. in der Pause verschwunden war, um in Ruhe zu telefonieren. Nun ließ er sich ab und zu sehen, warf einen prüfenden Blick auf die Gruppe, die gerade fotografiert wurde, checkte kurz ab, ob die Band noch da war, und zog schließlich den Kopf samt Handy wieder ein, um das Telefonat weiterzuführen.
  • Zu allem Überfluss setzte Konsul Toni D. sich plötzlich ebenfalls ab, griff einen Stapel CDs, die er listigerweise schon mit Preisschildern versehen hatte, und begann ein Verkaufsgespräch mit der Fotogruppe.
Es ist erstaunlich, dass wir bei diesen Rahmenbedingungen überhaupt ein paar halbwegs vernünftige Töne zu Stande gebrachte haben. Ich führe dies darauf zurück, dass unser CMO  in letzter Zeit deutlich schärfere Töne anschlägt, was der Probendisziplin nur gut tun kann. Dabei zeigt er durchaus eine gewisse Bandbreite: So kommentierte er einige Stellen in Don't You Be Worried wie folgt: "Das haben wir letzte Woche gelernt, das muss also klappen." Okay, deutlich, aber harmlos. Unkonzentrierte Gespräche mit dem Sitznachbarn im Saxophonsatz fertigte er aber schon mit einem bissigen "Habt ihr zwei irgendwelche Intimitäten auszutauschen?" ab, und als ich nach einer längeren Diskussionspause genervt auf die Uhr zeigte und fragte, ob wir irgendwann weiterspielen würden, hieß es nur noch: "Halt's Maul!" Sehr gut. Schließlich habe ich mich auch nicht mit Ruhm bekleckert heute Abend und so konsequent in die Pause gespielt, dass gewisse Mitglieder des Trompetensatzes irgendwann mit intensivem Vibrato auftraten, weil sie von Lachanfällen geschüttelt wurden. Selbst die Stelle, die ich mir schon in der letzten Probe mit einem Vermerk "1. Mal spielen" versehen hatte, weil ich die Anweisung "2nd x TACET" nicht in Echtzeit umsetzen konnte, habe ich vermasselt. Apropos "TACET": Sie wissen natürlich, dass es sich hier um einen Imperativ des lateinischen Verbs tacere handelt, der mit "Schweige!" zu übersetzen ist. Offenbar inspiriert von dieser Anweisung erging Thomas S. sich heute Abend in weiteren lateinisch angehauchten Äußerungen, als er etwa einen Musiker darüber informierte, dass er ihn nicht sehen könne, weil sein "Korpus" vom Notenständer verdeckt werde. An anderer Stelle rief er gar dazu auf, noch einmal die "Repetition" zu spielen. Als ich ihn dann unsensiblerweise fragte, ob er das große Latinum vorweisen könne, erinnerte Thomas uns daran, dass er bis zu seinem 18. Lebensjahr Kohle schaufeln musste (wir berichteten) und somit niemals in den Genuß einer ordentlichen Schulbildung gekommen sei. Nicht auszudenken, was aus diesem Mann geworden wäre, wenn er eine humanistische Prägung erfahren hätte - sein Genie ist ja jetzt schon kaum zu ertragen.

Wir brachten noch eine gute Stunde mit zwei weiteren Stücken zu: Nummer eins war DESJAZZDO. Dies ist eine Nummer, die vereinzelt zu Unmut in der Band führt, aber sicher super klingen wird, wenn wir sie mal richtig spielen können - schließlich haben wir sogar Minuano hingekriegt. Nummer zwei war die Titelmelodie einer Fernsehserie für Kinder, mit der wir groß geworden sind - mehr wird noch nicht verraten, um die Überraschung bei unserem nächsten Auftritt nicht zu verderben. Ich gebe Ihnen aber einen Tipp: Die Erstaustrahlung fand im September 1972 statt, und bei der Produktion wurden neuartige technische Verfahren eingesetzt.

Zum guten Schluss blitzte die überdurchschnittliche Sprachbegabung unseres CMOs noch einmal hell auf, als er uns fast beiläufig mitteilte, einen neuen Slogan für die Band gefunden zu haben: "Einfache Melodien für einfache Leute: SAP BIG BAND". Stark, oder? Dabei bezahlen wir ihn gar nicht für solche Arbeiten. Glaube ich zumindest - mal sehen, ob er eine Rechnung schickt. Damit war der Abend aber noch nicht vorüber, denn Sie wissen ja: Nach dem offiziellen Ende der Probe ist es Brauch, dass sich eine Handvoll Unerschrockener in einem örtlichen Restaurant einfindet, um Rückschau zu halten. Heute fiel die Wahl auf das Restaurant im neuen SAP Guesthouse. Als ich nur eine Tomatensuppe bestellte, waren die anderen so nett, die freundliche Bedienung davon zu informieren, dass ich gerade ein Haus gekauft habe und mir somit nur noch eine Suppe leisten könne. Ist es nicht fantastisch, wenn man Freunde hat, die einem die größten Peinlichkeiten aus der Hand nehmen? Die charmante Kellnerin zeigte sich auch gleich sehr mitfühlend und servierte mir einige Hundert Gramm Brot zu meiner Suppe, so dass ich auch jetzt noch angenehm satt bin. Konsul Toni D., im Hochgefühl eines erfolgreichen Abends (ich will gar nicht wissen, wie viele CDs er an die Fotogruppe verscherbelt hat), wusste meine bescheidene Mahlzeit effektvoll zu konterkarieren, indem er ein Wok-Gericht bestellte, das derart exotische Tiere enthielt, dass er sich beim Sezieren fachmännischen Rat holen musste.

Sind Sie eigentlich noch da? Haben Sie bis hierher durchgehalten? Ich weiß, ich weiß, dieser Probenbericht ist viel zu lang, aber dafür gab es ja schon länger keinen, und nächste Woche sind nur langweilige (aber nützliche) Satzproben geplant. Also, wir sehen uns übernächste Woche. Ciao.


3 Kommentare:

  1. Das exotische Tier bekam den Namen Karl*, bevor es mit vereinten Kräften in seine Einzelteile aufgeteilt wurde. Und auch der eloquente Blogschreiber bekam eine fette Schere ab. Große Tiere muss man eben großzügig teilen. LG TD
    *als Projekttitel

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  2. Als alter Lateiner ein Hinweis zu dem Satz: Apropos "TACET" ...

    Tacet ist kein Imperativ!!!!
    Tace ist der Imperativ von tacere.
    Tacet heißt einfach "man schweigt".
    Leider muss unsere Satzprobe nächste Woche ausfallen, sonst hätten wir das weiter erörtern können.

    Tja Hendrik: Si tacuisses, philosophus manisses.

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  3. Ich dachte, ich hätte schon auf Michaels Kommentar geantwortet, aber wohl nicht.

    Also, Michael: Das mit der Satzprobe war schade, aber weiteren Diskussionsbedarf zur lateinischen Grammatik hätte ich nicht gesehen, sondern mich einfach geschlagen gegeben. Nolens volens natürlich.

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