Der Angriff des Konsuls: Probe am 8. Juni 2011

Die SAP BIG BAND hat mittlerweile 73 Fans auf Facebook und es werden ständig mehr. Diese Menschen wissen in der Regel, was bei uns so los ist. Für alle anderen möchte ich zu Beginn dieses Probenberichts zwei Punkte erwähnen, die unsere musikalische Arbeit zur Zeit in besonderer Weise bestimmen:

  1. Wir haben vor einigen Wochen eine neue CD aufgenommen, die sich zur Zeit im Presswerk befindet. Wie sie klingen wird, wissen wir noch nicht, denn unser CMO Thomas S., bei dessen Plattenlabel Personality Records das Album erscheinen wird, hockt auf dem fertig gemischten Master wie die Glucke auf den Eiern. Eigentlich macht er das genau richtig, denn mit jedem Tag steigt die Spannung und die Vorfreude. Trotzdem können wir es natürlich kaum erwarten.
  2. Am 19. Juni um 11.00 Uhr tritt die Band beim Jazzfrühschoppen auf dem Hockenheimer Gartenschaugelände auf. Eingeladen hat uns die Schwetzinger Zeitung. Wir freuen uns schon sehr auf diesen Auftritt, bei dem wir nicht nur Stücke von der neuen CD spielen werden, sondern - wenn in der Produktion alles klappt - das Album erstmals zum Verkauf anbieten werden.
In diesem Zusammenhang muss man die heutige Probe sehen, die es wirklich in sich hatte. Auf dem Programm für Hockenheim stehen 17 (!) Nummern. Natürlich behält Thomas sich wie immer bis fünf Minuten vor dem Auftritt Änderungen am Programm vor, aber der aktuelle Stand ist schon ein arger Klotz. Ich habe heute Abend auch vorsichtig angemerkt, dass wir diesmal drei Ersatzmusiker dabei haben, die teilweise schon mit Noten versorgt wurden, und es vor diesem Hintergrund hilfreich sei, ein stabiles Programm zu haben. Der CMO fegte diesen Einwand jedoch mit der Bemerkung vom Tisch, dass es sich dabei sicher um kein unlösbares Problem handele. Wahrscheinlich sitzt er jetzt gerade am Schreibtisch, raucht eine Zigarre (wie jeden Mittwoch Abend) und schmeißt das Programm völlig um.

Wie dem auch sei: Schauen wir uns doch mal einige Stücke an, die heute Abend - und damit eventuell auch in Hockenheim - auf dem Programm stehen:

Don't You Be Worried
Ich hatte bei der CD-Aufnahme das - im Nachhinein durchaus als zweifelhaft zu bewertende - Vergnügen, bei diesem Stück ein Solo einzuspielen. Die Vorbereitung zu Hause hatte zur Folge, dass ich in dem Thema, das ich mir ausgedacht hatte, vollkommen gefangen war und wahrscheinlich noch beim 53. Take dieselben Noten gespielt hätte. Außerdem endeten alle Phrasen, wie von Geisterhand geleitet, auf dem C. Es ist ja an und für sich auch eine klare, saubere und schöne Note, aber ich hatte das Gefühl, dass unser musikalischer Direktor sich ein wenig mehr Variabilität gewünscht hätte. Auf jeden Fall kommentierte er meine Performance mit dem Hinweis, dass man erst nach vielen Jahren Praxis im Studio nicht mehr frustriert sei.
Dies war die Ausgangssituation, als er mich heute Abend aufforderte, bei diesem Stück ein Solo zu spielen (was natürlich auch heißt, dass ich es in Hockenheim vor Hunderten von Zuschauern spielen muss). Ausreden ließ er wie üblich nicht gelten, und so fand ich mich schließlich, einsam und allein, während der Soloform vor der Rhythmusgruppe stehend. Erwartungsvolle Blicke ruhten auf mir. In meinem Kopf eine unendliche Leere. Und wieder übte das klare, reine, grundehrliche C seine magische Anziehungskraft auf mich aus. Thomas kündigte nach dem Solo an, dass er mir in Hockenheim für jede Phrase, die nicht auf dem C enden würde, einen ausgeben werde. Es wird am 19. Juni also entweder auf ein äußerst klar strukturiertes Solo oder auf extrem viele Freigetränke für mich hinauslaufen. Schauen wir mal.

Der Professor
Die Band ist es mittlerweile gewohnt, dass unser Konsul Toni D. gleich zu Beginn dieses Stücks, wo die Trompete im Wechselspiel mit der Bassposaune frei improvisieren darf, sehr kraftvoll zu Werke geht. Alleine diese Nummer ist deswegen ein klares Kaufargument für die neue CD. Heute Abend war seine Performance aber wirklich äußerst druckvoll. Bei jedem anderen hätte man gleich auf den Missbrauch leistungssteigernder Substanzen getippt, doch in diesem Fall weiß eigentlich jeder, dass es einfach die urwüchsige steirische Lebenskraft ist, die das Metall zum Schwingen bringt. Im Nachhinein muss der Sachverhalt aber dennoch anders bewertet werden, denn später sollte sich herausstellen, dass Toni heute Abend mehr wollte als nur den musikalischen Erfolg. Er wollte den Kampf. Er wollte den Sieg.

You're Up
Diese Komposition unseres Bandmitglieds Peter H. stellt den Titelsong der neuen CD dar. Wir haben die Nummer bei der Vorbereitung der Aufnahme natürlich schon sehr oft gespielt. Trotzdem wurde mir am Beispiel dieses Stückes heute Abend wieder ganz neu bewusst, wie privilegiert ich eigentlich bin, denn ich darf bei allen Proben und Auftritten neben unserem Präsidenten Ralf H. stehen. Ralf, der die Geschäfte der Band schon lange erfolgreich führt, hat in den letzten Wochen immer wieder durchblicken lassen, dass er auch musikalisch ganz vorne mit dabei ist, und der vor einigen Wochen aufgekommene Verdacht, dass er nach der Promotion in Physik an der amerikanischen Ostküste mit einigen Komponisten und Arrangeuren studiert hat, die heute zu den ganz Großen im Jazz zählen, erhärtet sich zunehmend. Die Performance der anderen Trompeter bei Your're Up kommentierte er heute mit nur einem Satz, über den wir alle intensiv nachdenken sollten: "Die Achtel sind viel zu breit." Wahnsinn. Da steckt so viel drin.

Moten Swing
Vor einigen Jahren hat unser Konsul Toni D. mir angeboten, bei diesem Stück das 16-taktige Trompetensolo zu spielen. Ich habe es - bedingt durch den Tonartwechsel nach dem achten Takt - einmal bei einem Auftritt so richtig in den Sand gesetzt, eine Phase tiefer Niedergeschlagenheit durchlitten, dann noch einmal analysiert und geübt, und seit einiger Zeit im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten schon bei einigen Auftritten ganz leidlich gespielt. Heute Abend sah ich mich allerdings einem Überraschungsangriff ausgesetzt. Was war da los? Nun, zunächst einmal hatte ich mir überlegt, dass es eine fantastische Idee wäre, das Solo mit einem Cup Mute zu spielen. Dabei handelt es sich um einen speziellen Dämpfer. Im Gegensatz zu den anderen Trompetern in der Band, die mit einem Kunststoffdämpfer herumeiern, verfüge ich über ein Modell aus Metall, das sogar deutlich günstiger war als die Plastikdinger (was ich mir nicht erklären kann). Es klingt so richtig schön nach Jazz: Die 40er Jahre, Louis, Ella, Kronleuchter, Abendkleider, runde Tische im Halbdunkel, und ich auf der Bühne mit dem Superdämpfer im Rohr. Grundsätzlich eine tolle Sache.
Leider geriet ich nach den ersten zwei Takten meines Solos etwas aus dem Gleichgewicht, weil zwei Meter neben mir unser Konsul mit gefühlten 150 dB in die Soloform einstieg und meine eigenen, zarten Improvisationsversuche in die Unhörbarkeit verwies. Ermattet setzte ich die Trompete ab, nahm aber aus dem Augenwinkel wahr, dass die anderen Trompeter versuchten, unseren Toni heftig gestikulierend zum Aufhören zu bewegen. Toni setzte seinerseits die Trompete ab, was ich zum Anlass nahm, das Solo kurz vor dem Tonartwechsel wieder aufzunehmen. Dann geschah das Unerwartete: Toni setze die Trompete ebenfalls wieder an und lieferte sich mit mir einen Solo-Wettkampf, den ich verlieren musste, weil ich mit Dämpfer spielte. Das war aber eigentlich völlig egal, weil ich ohnehin verloren hätte. Gegen so ein österreichisches Kampfhorn kommst du einfach nicht an. Keine Chance.
Unser CMO nahm die Sache von der heiteren Seite. Ich bin froh, dass er sich gut unterhalten hat. Wobei er für mich durchaus auch wertvolles Feedback parat hatte, als er mir im Plenum deutlich machte, dass ein Moten-Swing-Solo mit Dämpfer ungefähr so viel Wert habe wie eine Soloform, bei der jede Phrase auf dem C endet. Ich fand eigentlich, dass es sehr authentisch klang (zumindest die kurzen Fragmente, die ich hören konnte, als Toni nicht spielte), aber was soll's.

Insgesamt war die Probe doch recht anstrengend, denn wir merkten alle sehr deutlich, dass unser Drummer Olli B. nicht da war. Thomas musste stellenweise doch kräftig in die Hände klatschen, um die Band auf der Spur zu halten. Aber keine Sorge, nach Hockenheim bringen wir den Olli auf jeden Fall mit. Alles andere wäre zu experimentell.

Wenn Sie in Hockenheim wider Erwarten nicht dabei sein können, sollten Sie unsere Website (www.sapbigband.com) im Auge behalten. Hörproben und weitere Informationen über das neue Album, inklusive faszinierender Fotos, geschossen in einem echten Paternoster, sind in Vorbereitung. Und wenn Sie keine Lust haben, ständig auf der Website vorbeizuschauen, werden Sie einfach unser Fan auf Facebook. Dort verpassen Sie garantiert nichts. 

3 Kommentare:

  1. Lieber Hendrik,
    möchte mich bei Dir und vor dem ganzen Universum für meinen von Dir als "Angriff" empfundenen Tun entschuldigen. Es war ein psycho-physikalisches Experiment. Danke, dass Du mich dabei perfekt unterstützt hast. Die Fragestellung lautete: Was passiert wenn überraschend auftretender Überschall auf solide gedämpften Unterschall trifft? So etwas kann man nur in einer experimentierfreudigen, wissenschaftlichen Atmosphäre und ausschließlich unter Trompetern durchführen. Die Auswertung der Ergebnisse wird noch Lichtjahre dauern. Es geht hier schließlich um T-Quanten, die es erst mal zu finden gilt. Aber wenn ich die ersten gefunden habe, dann melde ich mich bei Dir und dem Fachpublikum. Den für uns sicheren Physiknobelpreis teilen wir uns. Hoffe, dass macht den Schock wieder mehr als wett. Keep sounding, T.

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  2. Also waren doch keine unerlaubten Substanzen im Spiel, lieber Toni! Ich hätte es wissen müssen. Was mich nun aber wirklich wundert: Unser Präsident, seines Zeichens promovierter Physiker, hätte das Experiment doch auf Anhieb als solches identifizieren müssen. Warum hat er nichts gesagt? Er erklärt mir doch sonst immer alles so liebevoll. Was da - angesichts der bevorstehenden Vorstandswahlen - nun wieder für eine Agenda hintersteckt, möchte ich gar nicht wissen.

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  3. ...hmm, der Präsident steckt mutmaßlich noch in der Analysephase. Es wird also noch ein Quantum Zeit benötigen bis er Dir auf liebevolle Weise die Welt erklärt. Gehe davon aus, dass er bis zur HV sein 837-seitiges Exposé (zu Deutsch: Denkschrift) fertig geschrieben hat. Auch gut, wenn ich dann mit Copy&Past zu einem Nobelpreis komme. Das schraiben Felt mia selbscht imer schwär. Dann hätte ich alle C&P-Doktoren ÜBERTÖNT. ABER das bleibt ein Geheimnis zwischen uns. Für die HV erwarte ich mir einen Quantensprung. Stoff ist genug da. Keep moving, T.

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