Nachhaltige Kunst: Probe am 13. April 2011

Treue Leser dieses Blogs wissen viel über mich. Viel zu viel. Zu den öffentlich bekannten Fakten gehört zum Beispiel, dass ich nur die Nordhälfte des Quintenzirkels kenne und auch dort immer die Finger zu Hilfe nehmen muss, um Tonarten durch Abzählen korrekt benennen zu können. Sie wissen auch, dass mein Traum, so wie Chet Baker Trompete spielen zu können, immer unerreichbar bleiben wird. Bekannt ist aber auch, dass ich mich trotz dieser schicksalhaften Beeinträchtigungen immer sehr auf die Bigband-Probe am Mittwochabend freue. Deswegen wird es Sie vielleicht interessieren, dass ich heute in leicht gedämpfter Stimmung - ich möchte fast sagen, mit gesenktem Haupt - zur Probe ging. Was war da los?

Letzte Woche hatte die Band nach der anstrengenden CD-Aufnahme frei. Am vorletzten Wochenende fanden die Solo-Aufnahmen im Studio in Sandhausen statt. Dies war mein letzter Kontakt mit dem selbstfabrizierten Jazz und die Wurzel meiner Niedergeschlagenheit, denn mein Trompetensolo bei Don't You Be Worried war leider nicht zu dem Erfolg geraten, von dem ich beim häuslichen Üben geträumt hatte. Lag es daran, dass ich nicht auf dem mitgebrachten Cornet spielen durfte, sondern zur Trompete greifen musste? Oder haben mich die oben genannten Restriktionen einfach unbarmherzig eingeholt? Ich weiß es nicht, aber ich hatte mehr von mir erwartet. Deutlich mehr.

Nun versteht man vielleicht, weshalb ich heute mit gemischten Gefühlen zur Probe ging. Hier erwartete mich aber eine zweigeteilte Überraschung.

Teil 1: Das Foyer des Walldorfer Schulungszentrums, das wir schon seit vielen Jahren als Proberaum benutzen dürfen, war wie verwandelt: Überall standen, hingen und lagen faszinierende Kunstwerke herum. Das ist in diesem Foyer nichts Außergewöhnliches, aber die Ausstellungsstücke, die wir heute vorfanden, waren neu.



Tatsächlich beginnt die Ausstellung - unter der Überschrift Sustainable Art (nachhaltige Kunst) - erst morgen und ist ganz sicher einen Besuch wert.

Teil 2: Unser CMO Thomas S. hatte für heute Abend ein reines Count-Basie/Swing-Programm zusammengestellt. Nach langen, sehr erfüllten Wochen und Monaten, die wir mit deutschem und europäischem Jazz der letzten Jahre verbracht haben, ist es nun Zeit, sich auf die Saison der Weinfeste und Open-Air-Konzerte vorzubereiten, und da gibt es nun einmal nichts Besseres als Count Basie.

Das war natürlich Balsam für meine Seele! Ich brauche nur die ersten 8 Takte von Hay Burner, um mich gleich viel besser zu fühlen. Schlag auf Schlag folgte ein Hit auf den nächsten. Alle waren sie da: Fun Time, Moten Swing, The Queen Bee, Switch In Time, It's Oh, So Nice und viele andere. Wir fühlten uns in die Zeit von Count To Ten zurückversetzt - das ist die CD, die wir dieser unsterblichen Musik, die man mit Fug und Recht ebenfalls als nachhaltige Kunst bezeichnen könnte - gewidmet haben.



Und irgendwann war es dann soweit: Der Walldorfer Abendhimmel hüllte sich in müdes Grau, die Vögel hörten auf zu singen, die Kinder wurden ins Haus geholt und ich sagte wieder einmal zu unserem Präsidenten, Ralf H.: "Ralf! Hörst du? Sie spielen unser Lied" (Too Close For Comfort). Es war ein besonderer Moment. Wobei ich sagen muss, dass Ralf heute Abend extrem tough war. Bei einer der genannten Swing-Nummern informierte er unseren CMO in eindeutigen Worten darüber, dass er von dem Arrangeur überhaupt nichts halte, ja noch niemals ein brauchbares Stück gesehen habe und weitere Experimente mit diesem Künstler nicht wünsche. Der Titel des Stücks und der Name des Arrangeurs sollen hier ungenannt bleiben, denn eins muss klar sein: Ein Wort aus dem Mund einer solchen Jazz-Koryphäe, wie sie unser Präsident nun einmal ist, kann Karrieren aus dem Nichts erschaffen, aber ebenso schnell auch wieder zum Einsturz bringen. Wir hoffen, dass der genannte Arrangeur doch noch einmal die Kurve kriegt. Vielleicht sollte ich ihm Bescheid sagen, dass er in Ungnade gefallen ist. Ralf kann mir sicher seine Handynummer geben.

Eine detaillierte Berichterstattung über die einzelnen Nummern, die wir heute Abend gespielt haben, soll es diesmal nicht geben. Besonders erwähnen möchte ich aber die folgenden Musiker, die heute Abend von sich reden machten:

Posaunist Jürgen H. bestritt das erste Drittel der Probe ganz alleine im Posaunensatz. Dabei hat er eine wirklich respektable Leistung abgeliefert. Respekt!

Saxofonist Harald S. begeisterte heute Abend nicht nur mit drei eleganten Soli, sondern auch mit seinem blendenden Aussehen. Das Foto zeigt ihn beim Füttern eines nachhaltigen Pferdes:



Pianist Frank W. leistete als Notenwart schier Übermenschliches, denn ich hatte es versäumt, das Programm für die heutige Probe an die Band weiterzuleiten, so dass zwei Drittel der Musiker mit den falschen Noten erschienen.



Drummer Olli B. brach in beeindruckender Weise aus dem traditionellen Rollenbild eines Swing-Drummers aus. Typisch wäre es gewesen, wenn er sich ein halbes Glas Whisky auf die Snare gestellt, eine Zigarette in den Mundwinkel gesteckt und seine Felle mit einem sanften Besen gestreichelt hätte. Aber nichts davon! Olli drosch dermaßen auf sein Schlagzeug ein, dass Thomas ihm dringend ans Herz legte, mit dem Boxen anzufangen, um einen Ausgleichssport zu haben. Mir persönlich hat es gefallen - schön knackig und laut.



Saxofonist Jochen R. meldete sich mitten in der Probe zu Wort und teilte unserem CMO mit, dass er seine Noten absichtlich zu Hause gelassen habe. "Ich will keinen Swing spielen!", so der trotzige Holzbläser. Thomas S. machte ihm daraufhin aber unmissverständlich klar, dass so mancher Musiker schon für geringere Vergehen als die Swing-Verweigerung in Beton gegossen wurde, und die Diskussion war beendet.

Nach der Pause diskutierten wir unter der Leitung der charmanten Edda S. die Zimmerbelegung für das Probenwochenende im Herbst. Man muss leider offen damit umgehen: Manche Bandmitglieder haben ein handfestes Schnarchproblem. Entsprechende Tonbildaufnahmen werden wir im Herbst anfertigen. Vor diesem Hintergrund waren die sechs Einzelzimmer, die Edda gegen einen Aufpreis von 10 EUR zu vergeben hatte, hart umkämpft. Eine endgültige Zimmerbelegung haben wir noch nicht, aber es ist ja auch noch ein wenig Zeit.

Nach der Pause trat unsere Sängerin Dagmar K. in den Mittelpunkt, um einige Nummern mit der Band auszuprobieren. Besondere Beachtung fand dabei ihre Interpretation von God Bless The Child. Mit gesenktem Kopf stand sie da (was wohl aber auch daran lag, dass keiner von uns Rüpeln daran gedacht hatte, ihr einen Notenständer hinzustellen, so dass die Noten auf dem Boden lagen), eine Hand lässig in der Hosentasche, die andere am Mikrofon, und machte einen auf Billie Holiday. Stark! Alleine deswegen sollten Sie zu einem unserer nächsten Auftritte kommen.

In diesem Zusammenhang sollte ich erwähnen, dass ich von der letzten Gesangsnummer (Till You Come Back To Me) eine Tonbildaufnahme angefertigt habe, die ich eigentlich an dieser Stelle veröffentlichen wollte. Thomas und einige Musiker aus dem harten Kern, die sich nach der Probe noch zu einem kurzen Imbiss versammelten, legten jedoch ihr Veto ein, als ich diesen Film am Tisch auf dem Mobiltelefon vorführte. Es handelt sich um einen Durchlauf des Stücks ohne Sängerin, um der Band noch einmal Gelegenheit zu geben, sich mit den Noten vertraut zu machen. Ich fand es gut und habe es gefilmt, aber hier scheint es sich - wie so häufig - um eine unbedeutende Einzelmeinung zu handeln. Offenbar haben die Jungs und Mädels ernste Zweifel an der Nachhaltigkeit der Aufnahme. Wir haben uns nun darauf geeinigt, dass ich den Streifen vor der Veröffentlichung unserem CMO vorlegen muss, damit dieser ihn noch einmal am Bildschirm und mit einem ordentlichen Lautsprecher auf Unbedenklichkeit prüfen kann. Deswegen folgt nun ein Platzhalter:

Platzhalter für die Aufnahme von Till You Come Back To Me

Wenn Sie möchten, dass die Aufnahme veröffentlicht wird, erfassen Sie bitte einen entsprechenden Kommentar am Ende dieses Artikels. Jede Stimme zählt!

Der Abend ging zu Ende in der wirklich ausgezeichneten Pizzeria Riviera in Walldorf, die es in wenigen Monaten geschafft hat, sich einen festen Platz in unserer Restaurantliste zu erobern. Der kürzlich ein Jahr reifer gewordene Konsul Toni D. verwöhnte uns hier nicht nur mit spendierten Getränken (vielen Dank!), sondern auch mit einer persönlich präsentierten Desserkarte:


Wir haben also eigentlich doch ein schönes Leben! Ich werde weiter davon berichten.

2 Kommentare:

  1. ganz wunderbar vor allem auch das Solisten Video von Dir lieber Hendrik. Aus dir wird mal ein ganz ... was ich noch sagen wollte übrigens und überhaupt :-)

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  2. Heute erreichte mich auf Umwegen eine Leserzuschrift, die darauf hinwies, dass der im ersten Absatz erwähnte Chet Atkins ein Gitarrist sei und ich vermutlich davon träume, so wie Chet Baker Trompete spielen zu können. So ist es (Text ist korrigiert). Ich kann den Fehler auch erklären: Vor einigen Tagen habe ich mir eine neue Gitarre bestellt, und träume jetzt natürlich ebenfalls davon, so wie Chet Atkins Gitarre zu spielen. Das wird aber genau so ein schaumiger Traum bleiben wie die Geschichte mit der Trompete.

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