Eigentlich wollte ich ja heute Abend nichts schreiben, um mich ein wenig zu schonen, aber erstens haben die Jungs mich gedrängt, und zweitens hat die Probe mich in einem sehr aufgewühlten Zustand zurückgelassen. Auch eine Quattro Formaggi und ein Viertel Barbera bei der Nachbesprechung im Tournedo konnten daran nichts ändern. Deswegen nehme ich mir nun das Recht, ausschließlich über meine Erlebnisse zu berichten.
Was war passiert? Vor einigen Tagen hatte unser CMO Thomas S. das vorläufige Programm für unseren Auftritt im Golfclub St. Leon-Rot (am 19. Juli) verschickt, und ich hatte mit freudiger Erregung gelesen, dass A Child Is Born auf der Liste stand. Ich wäre fast so weit gegangen, es noch einmal zu üben, doch von solch einem extremen Schritt habe ich dann doch Abstand genommen und mich dem Werk nur meditativ genähert.
Heute Abend war es dann so weit: Ich durfte mich vor die Rhythmusgruppe stellen und das Stück zum Besten geben. Es gelang mir sogar, einige vorher nie gehörte Fills einzubauen, die erstaunte Zwischenrufe verursachten. Außerdem ließ ich die langen Töne nach Herzenslust schwingen und vibrieren, denn jeder, der sich ein bisschen mit Blasmusik auskennt, weiß schließlich, dass man damit seine Gefühle besonders gut zum Ausdruck bringen und die Zuhörer im Herzen anrühren kann. Auch wenn Ralf H. das nicht wahrhaben will. Allerdings lautete das Feedback von Thomas nach dem ersten Durchgang: "Spiel selbstbewusst, auch wenn du scheiße spielst. Und mach das Vibrato nicht mit den Lippen, das ist brutal schlecht für den Ansatz." Hmmm ... Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber eigentlich mache ich das Vibrato seit mindestens 25 Jahren mit den Lippen. Und nun soll ich plötzlich auf ein anderes Körperteil umstellen? Das wird hart. Mit dem anderen Teil seines sicher gut gemeinten Rates ("selbstbewusst scheiße") habe ich dagegen kein Problem, daran bin ich gewöhnt.
Damit Sie sich vorstellen können, worum es geht, hier eine Aufnahme von A Child Is Born von einem unserer Mitarbeiterkonzerte (2004). Damals hatte ich die Ehre, es vor Hunderten von Kolleginnen und Kollegen auf dem Kornett zum Besten zu geben. Bitte entschuldigen Sie die schlechte Qualität:
In der Probe heute bekam ich eine zweite Chance, und war mit diesem Durchgang eigentlich halbwegs zufrieden. Zu mehr als einem "Du hast es gut gemacht im Rahmen deiner begrenzten Möglichkeiten" ließ der alte Schleifer Thomas sich aber nicht hinreißen. Endgültig misstrauisch wurde ich dann, als er gegen Ende der Probe das geänderte Programm verlas. Dort gab es dann plötzlich einen Passus, der wie folgt lautete: "Im 2. Set entweder A Child Is Born oder Mr. Walker -- wir schauen mal, wie die Leute drauf sind." Schauen wir mal ...
Nunja Hendrik, eine sehr individuelle Perspektive auf den Abend. Eine der interessanteren gesellschaftlichen Fragen, die wir uns gestellt hatten war, ob man psychische Störungen patentieren lassen kann. Das würde mich wirklich interessieren - warum eigentlich nicht?
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