Nun, heute war die erste Probe nach der CD-Aufnahme. Und wenn Sie dieses Blog regelmäßig lesen, wissen Sie, das alles, was wir in den letzten Monaten gedacht, gespielt, geprobt, geschrieben und geplant haben, immer "vor der CD-Aufnahme" und auf diese bezogen war. Diese Aufnahme ist nun (seit dem vergangenen Wochenenende) zu einem großen Teil im Kasten. Die Ausnahme bilden Percussion und einige Soli, die am kommenden Wochenende noch eingespielt und dann -- Achtung Fachbegriff -- overgedubbed werden. Oder heißt es geoverdubbed? Ich weiß: Sie werden der Aufnahme per Overdub hinzugefügt. Wozu hat man schließlich Germanistik studiert!
Jetzt beginnt also die Zeit des Wartens. Der Band liegen bereits MP3-Dateien vor, die eine Rohfassung der Aufnahme enthalten. Diese sind jedoch vertraulich zu behandeln, und selbst gegen hohe Geldbeträge nicht erhältlich. Es wird aber vielleicht gar nicht so lange dauern, bis die fertig gemischte Aufnahme in den Plattenläden und Downloadportalen erhältlich ist. Meinem Aufruf vom 18. März, Ideen für den Titel des neuen Albums einzureichen, ist übrigens niemand gefolgt. Jetzt ist es schon fast zu spät, denn wenn nicht noch ein absoluter Weltklassevorschlag eingereicht wird, werden wir den heute Abend gefassten Plan umsetzen, demzufolge die CD, wie sich das für ein Latin-Album gehört, Remo Nel Bosu heißen wird. Moment, nein, da stimmt was nicht. Irgendwie sind uns die Buchstaben durcheinandergeraten. Das kommt davon, wenn man die Konzeptdiskussionen entweder zu nachtschlafender Zeit per E-Mail oder in einem Lokal führt, in dem es so laut ist, dass man nur die Hälfte verstehen kann. An der Reihenfolge der Buchstaben müssen wir also noch arbeiten. Aber ansonsten wird dies der Titel der neuen Scheibe, davon bin ich überzeugt.
Bevor wir kurz auf die heutige Probe zu sprechen kommen, die vor dem Großereignis der CD-Aufnahme natürlich ein wenig verblassen muss, möchte ich Ihnen einen blitzlichtartigen Rückblick auf die CD-Aufnahme bieten -- wie immer äußerst subjektiv und aus meinem eigenen Erleben heraus:
- Tag 1 (Samstag): Eine äußerst disziplinierte Band läuft auf, der man anmerkt, dass es nicht die erste Aufnahme ist. Gelegentliche Ausnahmen wie die folgende bestätigen nur die Regel: Das Band läuft. Unser CMO Thomas S. zählt ein Stück ein: "One, two, one two three" -- es wäre mit "four" weitergegangen, doch bei "three" entleert ein Musiker ganz spontan sein Instrument, in welchem sich Kondenswasser angesammelt hat (das mit der Spucke ist ein Gerücht), in dem er es kräftig in Richtung Mikro durchpustet. RHCHRHCHRHHRHRHRHCHCHCH. Die Band beginnt zwar noch zu spielen, indem sie sich das "four" einfach denkt, doch nach den ersten Takten winkt der CMO ab. Seine Schultern zucken. Er ringt um Fassung! Weint er? Nein, es ist ein Lachkrampf. In Windeseile steckt er den Rest der Band an. Alles grölt. Ich mache mir schon Sorgen, ob man den Haufen wieder unter Kontrolle bekommen wird, aber da ich selber wiehere wie ein Pferd, ist mir das eigentlich dann doch egal. Irgendwann aber wieder entspannte Stille, und die Aufnahme geht weiter.
- Der Abend des ersten Aufnahmetages: Nach etlichen, über den Tag hinweg verteilten Kommentaren ("Hendrik, dein Haar liegt heute aber gar nicht") fühle ich, dass es an der Zeit ist, die nächste Phase im Projekt Jogi-Löw-Übergangsfrisur einzuleiten. Im geschützten Raum des häuslichen Badezimmers fällt ein Teil der Haarpracht, um mit einem modischen Stufenschnitt Raum zu schaffen für Neues. Am nächsten Tag fahre ich so zur Aufnahme. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Man bemerkt auch eine Veränderung an mir. Das Feedback fällt jedoch unterschiedlich aus: Von "das hat sie aber gut gemacht" bis hin zu "das sieht aber net gut aus". Doch letztendlich, meine Damen und Herren, Sie wissen es, zählt nur die Meinung von Thomas S. Und dieser sagt: "Du siehst aus wie ein Mönch", und nennt mich für den Rest des Tages "Bruder Hendrik". Abends sagt er: "Hendrik, wir müssen da unbedingt was machen." Das ist allerdings noch kurz bevor ich meine Plastikhose und die Nylonweste aus dem Rucksack ziehe, um mich für die Heimfahrt auf der Vespa bei unter fünf Grad zu wappnen. Das gibt ihm den Rest. "Vespa fährt man in einer normalen Jeans! Und zieh diese Weste aus!" (Er selbst tritt kurze Zeit später die Heimfahrt im beheizten Porsche an, und tauschen will er nicht.)
- Zweiter Aufnahmetag, etwa 16.00 Uhr: Die Aufnahmen mit der Gesamtband sind im Kasten, und einige Soli werden eingespielt. Ich darf auch eins spielen, und zwar bei El Centro. Kurz vorher habe ich unseren CMO noch um Rat gefragt, und er hat mir auch bereitwillig Tipps gegeben, obwohl er bei meinen Fragen ("Welche Töne passen da? Ist es OK, wenn ich nicht so hoch spiele? Wieviele Kreuze hat C-Dur?") manchmal am Sinn des Ganzen zweifeln muss. Nun stehe ich ganz alleine auf der weitläufigen Bühne des SAP-Audimax', mit zwei riesigen Kopfhörermuscheln auf den Ohren. Im Ohr die Stimme von Jakob H., unserem Toningenieur, der mit seiner ganzen Technik vor der Tür des Saales Stellung bezogen hat. "Es geht dann gleich los, OK?" Ich mache mich bereit, und die letzten Takte vor der Soloform erklingen. Dann geht es los. 32 Takte! Viel zu lang für mich. Ich spiele um mein Leben, und es sind schon passende Töne dabei, aber auch viel Grütze. Macht ja nichts, Overdubbing heißt ja, dass man es (technisch gesehen) beliebig oft versuchen kann. Praktisch wird die Zahl der Versuche allerdings durch die Zeit und Geduld von Toningenieur und Bandleader eingeschränkt. Außerdem steigert jeder weitere, nur teilweise gelungene Versuch meine Verzweiflung. Gefühlte 10 Runden später höre ich Jakobs Stimme in meinem Ohr: "Warte kurz, ich biete dir mal was an." Und wirklich, einige Minuten später höre ich mich selbst im Kopfhörer. Gar nicht übel! Kurz darauf betritt Thomas S. den Saal, und es findet der folgende Dialog statt:
Thomas: "Das hast du alles gespielt! Nur nicht am Stück. Hehe."
Hendrik: "Ist das nicht unredlich, ein Solo so zusammenzuschneiden?"
Thomas: "Du würdest dich wundern, wer das alles macht."
Hendrik: "Na dann ist gut."
Vor dem Hintergrund all dieser Erlebnisse muss ich die Warnung, die ich im letzten Probenbericht ausgesprochen habe, mit aller Entschiedenheit zurücknehmen. Kaufen Sie diese CD! Kommen wir aber dann doch noch kurz zur heutigen Probe. Nach der Aufnahme, so zeigte sich, ist vor der Aufnahme, denn Thomas widmete den Abend den Solisten, die am kommenden Samstag ihre Soli einspielen dürfen. Diese im einzelnen durchzugehen, würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, und es wird auch viel unterhaltsamer sein, wenn Sie die Soli anhand der CD durchgehen -- ich verspreche Ihnen, dass viele tolle Sachen dabei sein werden.
Erwähnenswert ist der Beitrag von Jürgen H., der bei Why Not ein sehr passables Solo spielte. Nach einige Durchgängen gestand er allerdings, dass es sich teilweise nicht um Improvisation, sondern um ein vornotiertes Solo handelte, das -- wie könnte es bei SAP auch anders sein -- mit der Unterstützung einer cleveren Software entstanden war. Also ich muss sagen, mir gefiel das sehr gut, und es kommt ja auch immer darauf an, wie man so eine Vorlage interpretiert. Unser CMO Thomas S. allerdings bestand heute Abend auf einem improvisierten, gleichsam der Genialität eines heißen Moments entsprungenen Solo, und dies wird er auch am Samstag tun. Ich muss ihn also im entscheidenden Moment ablenken, damit er nicht auf die Idee kommt, Jürgen nach Spickzetteln abzusuchen.
Unvergleichlich ist auch die Art und Weise, wie unser CMO heute Abend durch die Reihen ging, und den einzelnen Solisten Tipps für ihre Improvisationen gab. Thomas ist ja für seine plastischen Formulierungen bekannt, und wenn ihm auch jede Grobheit wesensfremd ist, so liegt es doch im Bereich des Denkbaren, dass er darauf hinweist, wenn jemand einen falschen Ton spielt. Heute Abend, als es darauf ankam, wusste er seine Kritik aber so zu verpacken, dass sie nicht nur korrigierend, sondern auch motivierend wirkte. Ein Beispiel gefälllig? An einer Stelle sagte er anlässlich eines Trompetensolos zum ausführenden Musiker, während er erklärenderweise einige Stellen auf dem Notenblatt hervorhob: "Hier beharrst du auf einem 'h', was schwierig ist. Und hier beharrst du auch auf einem 'h', was genauso schwierig ist." Merken Sie was? Natürlich läuft es letztendlich darauf hinaus, dass im Solo an mehreren Stellen ein 'h' vorkam, obwohl die jeweiligen Akkorde dies nicht vorsehen, es sich letztendlich also um falsche Töne handelte. Aber indem Thomas diese verbal als zu meisternde Schwierigkeit präsentiert, motiviert er den Musiker, es doch zur Abwechslung einmal mit einem 'einfacheren' (= richtigen) Ton zu probieren, und schon stimmt die ganze Sache. Es wäre ja eher unangemessen, in diesem Blog plötzlich ernsthafte Töne anzuschlagen, aber ich spreche Thomas für die Art und Weise, wie er als Profimusiker uns Hobbysolisten unter die Arme greift und uns den rechten Weg weist -- egal wie gut oder schlecht wird sind, auch wenn wir uns nur vier Töne am Stück merken können -- ein großes Lob aus.
Die Probe endete recht früh, so gegen 21.00 Uhr, als alle Solisten glücklich waren, und wir konnten mit der Nachbesprechung beginnen, die uns diesmal wieder ins Walldorfer La Tortuga führte. Ich weiß nicht, was das Huhn zu Lebzeiten geraucht hat, aber die Chicken Wings, die ich mir dort zu Gemüte führte, waren unglaublich lecker. Ich konnte mich kaum auf die Diskussion konzentrieren, die sich um das Thema "CD-Cover" drehte. Der Inhalt des Gesprächs fällt natürlich unter die höchste Bigband-Geheimhaltungsstufe. Ich werde aber in den nächsten Wochen an dieser Stelle weitere Details enthüllen. Und irgendwann werden Sie die neue CD dann in den Händen halten -- im Idealfall natürlich, während Sie einen unserer nächsten Auftritte besuchen. In diesem Sinne: bis bald!
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