Kakteenfraß durch Posaunenspucke? Probe am 23. September 2009

Eigentlich müsste ich Ihnen ja gar nicht mehr erzählen, womit die heutige Probe begonnen hat, denn mittlerweile wissen auch die Gelegenheitsleser dieses Blogs, dass wir uns am Anfang immer gegenseitig in die Bäuche kneifen und nach dem Gewicht des anderen erkundigen. Wobei unser CMO Thomas S. mich heute damit überraschte, dass er sagte: "Hast du ein bisschen abgenommen?" Ich habe erst später verstanden, dass er mich auf den Arm nehmen wollte und vom Gegenteil überzeugt war. Daraufhin forderte ich ihn zu einem kleinen Wettkampf auf, in dem es darum ging, wer mehr Klimmzüge am Türrahmen schaffen würde. Leider hatte ich nach drei Vierteln meines ersten Klimmzuges einen Krampf in den Bauchmuskeln und musste anschließend mit ansehen, wie Thomas zumindest drei ordentliche Klimmzüge hinlegte. Mist.

Einige Musikerinnen und Musiker glänzten heute durch Abwesenheit, so dass wir in kleiner Besetzung spielten. Im Trompetensatz waren wir am Anfang nur zu zweit, und Konsul Toni D. übernahm nicht nur die 1. Stimme bei Am hellen Tage (eine fantastische Nummer von Rainer Tempel), sondern forderte mich mit seiner gewohnten Energie auch dazu auf, die 2. Stimme zu spielen. Ich ließ mich ungerechtfertigter Weise von solchem Optimismus anstecken und sah mich mit einem Notenblatt konfrontiert, auf dem sich die Töne über ganze Abschnitte hinweg so weit von der obersten Notenlinie entfernt hatten, dass ich sie nicht mehr benennen konnte.

Dies machte es natürlich einigermaßen schwierig, geeignete Ventilsätze zur Erzeugung dieser Töne zu ermitteln. Aber selbst wenn mir dies gelungen wäre, hätte die Spannung meiner Lippen für diese
extremen Höhen nicht ausgereicht, so dass ich getreu dem Motto "Erkenne deine Grenzen und überschreite sie nicht" in die dritte Stimme wechselte. Dort geriet ich aber gleich in die nächste brenzlige Situation, denn ich hatte eine Passage zu spielen, die Toni in der ersten Stimme nicht begleitete, so dass ich als einzige Trompete, untermalt vom gemütlichen Brummen der Posaunen, weithin zu hören war. Thomas kommentierte meine Leistung mit: "Wenn du früher mit dem Trompete spielen angefangen hättest, hätte was aus dir werden können." Toni daraufhin: "Mit zwei oder was?" Ich persönlich denke, dass nicht einmal dies ausgereicht hätte.
Wenn man
künstlerische Defizite hat, tut man gut daran, diese durch andere Verdienste zu kaschieren. Heute Abend ließ ich mich von Tonis allgegenwärtigem Optimismus, was das Marktpotenzial für unsere CDs angeht, anstecken und entwickelte ein eigenes Verkaufskonzept. Ich wusste, dass im SAP-Schulungszentrum, in dessen Foyer wir proben, von 18.00 bis 20.00 Uhr eine Veranstaltung stattfand, und dass die Teilnehmer anschließend alle durch das Foyer zum Ausgang laufen würden. Also flitzte ich während einer 16-taktigen Pause in den Keller, griff zwei Kartons mit CDs, kritzelte eine Notiz auf ein Blatt Papier ("CD nur 5 EUR. Sonderpreis. Geld einfach bei der Band abgeben.") und kehrte zurück ins Foyer. Leider hatten die 16 Takte nicht ganz ausgereicht, so dass ich von Thomas mit "Ach, der verlorene Sohn" begrüßt wurde. Dann sagte er: "Komm, stell dich dazu, dann kannst du mitspielen". Ich mag es ja, dass er immer so sachlich ist und Probleme ohne unnötige Emotionen anspricht. In der nächsten längeren Pause rannte ich dann mit Toni los, um einen Tisch zum Ausgang zu schleppen, auf dem ich die CDs und mein handgeschriebenes Schild aufbaute.

Dadurch verpassten wir natürlich wieder den nächsten Einsatz, so dass Thomas dann doch etwas genauer wissen wollte, was wir beiden da eigentlich trieben. Ich erläuterte es, woraufhin er mit mir wettete, dass ich durch diese Aktion nicht eine einzige CD verkaufen würde. Lange sah es so aus, als ob er Recht behalten sollte, und die Art und Weise, wie wir das (für uns noch sehr neue) Stück von Rainer Tempel interpretierten, war auch eher nicht dazu geeignet, die
Laufkundschaft zu einer Investition in unsere Musik zu motivieren. Eine ist aber doch weggegangen, so dass ich heute Abend zumindest einen kleinen Punktsieg für mich verbuchen konnte.

Wir waren immer noch beim selben Stück, als plötzlich etwas Schockierendes passierte. Wenn Sie schon einmal bei einem unserer Auftritte im SAP-Schulungszentrum waren, wissen Sie, dass sich an der Längsseite der Kantine ein mehrere Quadratmeter großes Beet befindet, das von einer etwa 70 cm hohen Mauer gesäumt wird und eine Vielzahl von Kakteen beherbergt. Außerdem wissen Sie eventuell, dass sowohl Posaunisten als auch Trompeter sich regelmäßig der Flüssigkeit entledigen müssen, die sich in ihren Instrumenten angesammelt hat. Dies geschieht über sogenannte Wasserklappen, wobei festzuhalten ist, dass Trompeter beim Spielen reinstes Kondenswasser erzeugen (über die Feuchtigkeit in der Atemluft), während man bei den Posaunisten nicht sicher sein kann, ob nicht doch ein bisschen Spucke dabei ist (von den Saxophonen wollen wir hier lieber gar nicht erst anfangen.) Heute Abend trat Starposaunist Stefan P. plötzlich und unvermittelt aus dem Glied, näherte sich mit einer gewandten Drehung dem Kaktusbeet und - ob sie es glauben oder nicht - spendete den Wüstenpflanzen eine ansehnliche Menge Flüssigkeit aus seinem Instrument. Vermutlich fragt die Hausverwaltung sich schon lange, warum die blöden Kakteen nicht wachsen wollen und so kränklich aussehen. Hier, meine Damen und Herren, könnte sich die Antwort verbergen. Kakteenfraß durch Posaunenspucke? Kann das sein? Wie lange geht das schon so? Hätten wir davon wissen, es gar verhindern können, wenn wir besser aufgepasst hätten? Sind die armen Kakteen noch zu retten? Wir werden das sehr genau beobachten und Sie natürlich auf dem Laufenden halten.

Vor dem nächsten Stück, Azzurro von Paolo Conte (kongenial arrangiert von Rainer Tempel), passierten zwei Dinge:
Erstens: Konsul Toni D. und El Presidente Ralf H. fühlten sich dazu inspiriert, eine Melodie auf ihren Trompeten zu blasen, die jeder kennt, die zu benennen ich mich aber außer Stande sah. Toni erklärte mir dann, dass es sich um die Dolannes-Melodie handele:

Ich bemühe mich ja stets, jeglichen musikalischen Snobismus von mir fernzuhalten, aber es war ganz schön schrecklich, was die beiden da zusammenbliesen, so dass Thomas ihnen spontan einen Wechsel in den Östringer Musikverein empfahl ("Da spielen sie solche Sachen.")
Zweitens: Ich musste mich outen. Ich wusste nicht, wer Paolo Conte ist. Ein Tipp ins Blaue ("Gitarrist") erwies sich als falsch, und schon musste ich Farbe bekennen. Ich muss auch zugeben, dass mir - nach den wohlmeinenden Erläuterungen der anderen - immer noch völlig egal ist, wer Paolo Conte ist, auch wenn Thomas mir bei der Nachbesprechung versicherte, dass es sich um "super Musik" handele.

Am Ende der Probe ließ Thomas sich dann zu einer völlig unerwarteten Ankündigung hinreißen. Die Kenner unter Ihnen wissen ja, dass er sich in den vergangenen Jahren stets standhaft geweigert hat, Stücke von Glenn Miller, insbesondere In the Mood, ins Repertoire aufzunehmen. Dies ging teilweise so weit, dass er dem Publikum auf diversen Volksfesten und Spargelmärkten, welches nach Glenn Miller verlangte, in seinen Ansagen Stücke von Miller ankündigte, obwohl wir in Wahrheit Count Basie spielten (gemerkt hat es keiner, der allgegenwärtigen Rieslingschorle sei Dank). Heute Abend, als dieses Stück aus den Reihen der Posaunisten wieder einmal ins Spiel gebracht wurde, gab er bekannt, dass wir dieses Stück zum Abschied spielen würden, wenn er die Band einmal verließe. Das hat zwar Stil, aber trotzdem: Seit heute Abend steht die Nummer für mich auf der schwarzen Liste - ich will sie niemals mit dieser Band spielen.

3 Kommentare:

  1. Danke Hendrik, einfach herrlich was Du geschrieben hast. Und unvergleichlich ist die Dolannes Melodie. ... nur ein paar Töne mit einem phantastischen Trompetensound. So etwas kann man nur auf einer Trompete spielen. Konsul T.

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  2. fussnaegel hochgerollt - und jetzt?

    lieber hendrik,
    in einem anfall von langeweile (wenn man das hier so nennen kann?) habe ich eben nicht nur nochmal deinen letzten blog gelesen, sondern (weiss der teufel warum) sogar auch zum ersten mal auf den "play"-pfeil im verlinkten youtube-video geklickt.
    ja, was soll ich sagen?
    du hast natürlich wie immer geschmackvollst ein wunderschönes video rausgesucht (allein die roten streifen durch die bewegten trompetenreflexe, der blaue(?) samt(??)anzug(???) von jean-claude borleose, in die (warum eigentlich immer) nach oben strebenden luftbläschen... sehr schön!).
    aber dieses stück: ich meine, ich habe jetzt viel mehr verständnis für euch trompeter. wenn ihr mit sowas gross werdet, damit aufwachst, diese dämlichen 7notigen langweiligen, sich nur immer wiederholenden melodie(?)fetzen in euch tragt - kein wunder, dass da...(zensur).
    aber viel schlimmer als die nur pseudomaessig im vordergrund stehende trompete ist a) die panflöte, die ab und zu auch dieselben drögen 7 noten von sich geben darf und b) dieser (ich erinnerte mich wieder schmerzhaft an alte samstag abend shows in aherrdeh und zettdeheff) cembaloide synthiesound, der auch immer nur 7 töne (aber andere, 3 aufsteigende terzen ...) lang ist.

    bei mir ist die schmerzgrenze jetzt erreicht, ich habe mich schon beim psychater angemeldet und - jetzt komme ich wieder zum titel dieses kommentars zurück - : was mache ich jetzt mit meinen hochgerollten fussnaegeln? ist die sag big band homepage gegen sowas versichert?

    ich werde eine petition ins leben rufen, diese dolannes (warum eigentlich 2 'n', ich habe den namen, den keiner auszusprechen wagt, immer mit langem 'a' herausgewürgt) in dolores-melodie umzutaufen. aber erst, wenn ich aus der keyboarder-kind kur wieder zurück bin (obwohl: dort könnte ich richard clayderman treffen ->
    http://www.youtube.com/watch?v=bnG3PBSEx8A aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaahhhhhhh!)

    kleiner exkurs zu obigem link:
    muss man so einen talentierten musiker mit einem flügel, dessen strassentauglichkeit nicht gesichert ist (er betätigt nie einen blinker und angeschnallt ist er auch nicht)
    mit (so scheint es) oft >50km/h durch den pariser innenstadtverkehr jagen? er hätte sich sämtlich notenhälse brechen können!
    den wehenden-haare-effekt hätte man doch auch einfacher mit bluescreentechnik und einem billigen fön/ventilator erzielen können, oder?
    jetzt fehlt nur noch eine benhur-artige szene mit einem fanfarenreiter, der im wilden gallllopppp die dollannes (da war es wieder, hülfäääääääää!) melodie spielt...

    so, schluss jetzt...

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  3. lieber sekibodä,
    schönes video von richard. doch angenommen r. könnte so gut trompete spielen wie jean claude und hätte die adeline melodie nicht an einen tonnenschweren kasten gespielt ... sondern auf einer leichten, strahlenden trompete, nur mal angenommen ... dann hätten wir eine dola:nes melodie für adeline hinbekommen. nicht auszuhalten, so schön wäre das gewesen. Konsul Toni D.

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