Auf der Suche nach der Quelle: Probe am 17. November 2010

Unser nächstes Konzert nähert sich mit Riesenschritten. Anfang Dezember wollen wir wieder After Work Jazz für die SAP-Kolleginnen und -Kollegen spielen, und bis dahin gibt es noch viel zu tun. Zum Beispiel Noten sortieren: Heute Abend zeigte sich wieder einmal, dass die Pflege des Notenbestands ein Bereich ist, in dem wir noch wachsen können. So ungefähr um 1000 Prozent. Die erste halbe Stunde ging nämlich wieder einmal dafür drauf, einen Abgesandten in den Keller zu schicken, der den Notenschrank nach den Originalen durchwühlen musste, weil nicht alle ihre Noten dabeihatten.
Die Gründe für diese Probleme sind vielfältig, und niemanden soll hier ein Vorwurf gemacht werden. Trotzdem wage ich einmal die unter Umständen vollkommen haltlose These, dass die Count Basie Big Band in ihren Anfangszeiten dieses Problem nicht hatte. Die bequeme und billige, endlose Reproduzierbarkeit von Notenmaterial, die man damals noch nicht kannte, macht uns vermutlich erst so nachlässig. Zu Zeiten, als jedes Blatt entweder ein Original war, das nicht verlorengehen durfte, oder mühevoll von Hand abgeschrieben wurde, ging man vermutlich anders mit seiner Notenmappe um. Heute holt man einfach die Originale aus dem Keller und macht sich eine neue Kopie.

Aber gut, genug moralisiert! Man weist mich in letzter Zeit ja ohnehin verstärkt darauf hin, dass ich einmal lachen und nicht so griesgrämig sein solle. Also geschwind ein Lächeln aufgesetzt und den Blick nach vorn gerichtet. Alles wird gut. Trotzdem war ich heute Abend heilfroh, dass ich mir vor der Probe eine Stunde Zeit genommen hatte, um in der Sitzecke des Büros meine eigene Notenmappe aufzuräumen. Es moralisiert sich einfach viel entspannter, wenn man ausnahmsweise selbst mal keinen Dreck am Stecken hat.

Vor Beginn der Probe setzte unser CMO Thomas S. einen gekonnten Akzent, indem er mit einem blauen Plastikkopfhörer auf den Ohren durchs Foyer des Walldorfer Schulungszentrums tanzte. Es sah wirklich toll aus. Seine charakterliche Größe liegt aber genau darin, dass er selbst in solchen Situationen nicht zögert, anderen modische Lektionen zu erteilen (von denen ich, das gebe ich unumwunden zu, schon oft profitiert habe). Er erläuterte mir nämlich, dass man auch im November sehr wohl in Sneakers herumlaufen könne, wenn man denn zu Wintersneakers greife. Praktischerweise trug er heute welche, so dass ich mir vor Ort ein Bild der Lage verschaffen konnte. Na gut, so etwas fehlt wohl noch in meinem Schrank. Ich werde daran arbeiten.

Als der Trompetensatz heute Abend vollständig war, fiel uns zum wiederholten Male auf, dass der Palmenbestand in unserer Ecke in letzter Zeit doch deutlich zugenommen hat. Jede Woche scheint ein neuer Silbertopf mit drei Meter hohem Grünzeug dazuzukommen, und Rainer gab heute Abend an der vierten Trompete vor botanischem Hintergrund wirklich ein sehr schönes Bild ab.

Vielleicht sollte er in der nächsten Probe einen Lendenschurz tragen? Das könnte die exotische Stimmung noch unterstreichen. Wir machen uns allerdings Sorgen, dass ihm irgendwann eine Kokosnuss auf den Kopf fällt oder wilde Papageien in seinem Haar nisten. Die Sache gehört beobachtet, sonst läuft sie aus dem Ruder.

Viele Bandmitglieder freuen sich sicher ebenso wie ich darüber, dass unser CMO weitere Stücke von Rainer Tempel besorgt hat. Eine der neuen Nummern - sie heißt Stadt-Land-Fluss - nahm heute die erste Hälfte der Probe ein. Es gäbe viele bemerkenswerte Stellen in dieser Komposition zu erwähnen, doch ganz besondere Aufmerksamkeit verdient der Abschnitt I (nicht römisch eins, sondern iiih). Wir proben das Stück nicht erst seit heute, und ich habe schon mehrfach beobachtet, dass dieser Abschnitt bei mehreren Bandmitgliedern zu reproduzierbaren Reaktionen führt: Sanft entrücktes Lächeln, Hin-und-Herwiegen des Kopfes oder des ganzen Oberkörpers und wissende Blicke, die man sich gegenseitig zuwirft. Meine Analyse lautet: Der Komponist zitiert hier musikalisches Material, das jeder schon einmal gehört hat. Hier zeigt sich wieder einmal, dass die Menschheit offenbar doch über ein gemeinsames kulturelles Gedächtnis verfügt, an dem offenbar auch die SAP BIG BAND zu einem gewissen Teil partizipiert.

Auch bei mir selbst löste der Abschnitt I so etwas wie Wiedererkennen aus, doch ich konnte keine genaueren Angaben machen. Da war lediglich eine diffuse Vorstellung von höfischen Tänzen im 18. Jahrhundert, bei der die Tänzer im Quadrat stehen und sich relativ steif im Raum bewegen. Ich nutzte eine kurze Unterbrechung, um meine Nachbarn Rainer S. und Ralf H. nach ihren Assoziationen zu fragen. Während Rainer das Gespräch auf eine andere Stelle des Stücks zu lenken versuchte, in der er Anklänge von "Ich geh mit meiner Laterne" zu erkennen glaubte, stellte Ralf zunächst die Verbindung mit Kirchenmusik her, um dann auf Purcell oder gar Haydn umzuschwenken. In der großen Pause ging ich dann mit meinem Notizblock zu Frank W., der sich bekanntlich mit klassischer Musik auskennt. Er wusste zunächst von keinen konkreten Assoziationen im Bereich der Klassik zu berichten. Er habe ganz einfach an einen Kinderchor gedacht. Deswegen befragte ich auf meiner Suche nach der Quelle als nächstes unseren musikalischen Direktor, CMO Thomas S. Dieser betritt, dass überhaupt ein musikalisches Zitat vorliege. Den Rest seiner Ausführungen habe ich leider nicht verstanden, so dass ich ihn nicht wiedergeben kann. Er lachte mich aus, als ich eine Gavotte als mögliche Quelle ins Feld führte, aber ich muss leider auch zugeben, dass ich gar nicht genau weiß, was das ist. Das Wort drängte sich mir in diesem Augenblick einfach auf. Das lag vermutlich wieder am gemeinsamen Gedächtnis. Am Ende ist Ralf schuld, weil er an das Wort gedacht hat und es auf geheimnisvolle Weise zu mir rübergeflutscht ist. Na ja. Vielleicht doch eher unwahrscheinlich. Frank rückte am Ende dann aber doch noch mit einer möglichen Zitatquelle heraus, nämlich einer (oder der) Sonate von Scarlatti.

Vielleicht liegt der Zauber der Tempelschen Komposition ja gerade darin, dass jeder das hört, was seiner eigenen musikalischen Genese entspricht? Das Ganze wird wohl ein Rätsel bleiben, wenn der Komponist selbst nicht zufällig mal wieder in diesem Blog vorbeischaut und uns mit einem Kommentar auf die Sprünge hilft. Unsere Auseinandersetzung mit Stadt-Land-Fluss blieb aber keinesfalls auf den akademischen Aspekt beschränkt. Sowohl Peter H. (as) als auch Konsul Toni D. (trp) spielten fantastische Soli, vor denen man nur den Hut ziehen kann. Freuen Sie sich auf das Konzert. Es wird super.

Ich persönlich hatte ein wenig damit zu kämpfen, dass ich am Vormittag eine geschlagene Stunde im Behandlungsstuhl meines Zahnarztes verbracht hatte ("schön weit aufmachen, Herr Achenbach!"). Abends konnte ich immer noch jeden Zahn spüren, und meine Lippenmuskulatur wollte auch nicht mehr so richtig mitspielen. Trotzdem musste ich noch ein wenig durchhalten, denn im zweiten Teil der Probe standen einige Gesangsnummern auf dem Programm, um sowohl unsere neue Sängerin Dagmar K. als auch die Band für das Konzert fit zu machen. Dabei stellte sich heraus, dass der heute abwesende Olli B. - über den schon manches Mal wegen der Lautstärke seines Schlagzeugspiels geschimpft wurde - dem einen oder anderen durchaus auch hilft, im Takt zu bleiben. Wir mussten uns bei No More Blues ohne ihn mächtig Mühe geben, nicht aus der Kurve zu fliegen.

Das Highlight des heutigen Abends war aber die letzte Gesangsnummer (Street Life). Neben einem gewohnt groovigen Saxophonsolo von Harald S. und der Tatsache, dass unser CMO persönlich einige Takte sang, um Dagmar den rechten Weg zu weisen, wird mir vor allem folgende Szene in teurer Erinnerung bleiben: Peter H. spielt die Melodie des langsamen Einleitungsteils auf dem Saxophon. Thomas hat ihn darum gebeten und steht vor ihm, um den Vorgang zu überwachen. Dagmar steht neben Peter und hält ihr Aufnahmegerät in den Trichter seines Instruments. Peter spielt. Die Töne schmelzen dahin. Alle hören gebannt zu. Wunderschön. Aber ist das wirklich das Intro, das wir kennen? Sinn und Zweck der Übung war ja eigentlich, Dagmar die Melodie nahe zu bringen. Gegen Ende der Form sagt Thomas dann: So, jetzt noch mal, und du spielst genau das, was da steht. Es scheint so, als ob Peter das Notenmaterial eher als unverbindliches Angebot interpretiert hat. Aber egal. Schön war's. Alles für die Kunst.

Der Abend ging zu Ende bei einer Probennachbesprechung in der verqualmten Walldorfer Marktstube. Vorher waren wir in mindestens drei Lokalen, um einen Tisch für neun Personen zu finden. Es war aussichtslos. Gab es vielleicht eine Gewinnausschüttung, von der wir nichts mitbekommen haben? Die Themen der Nachbesprechung waren vielfältig wie immer und sollen hier nicht nachgezeichnet werden. Lassen Sie uns Abschied nehmen mit einem Bild. Ihm fehlt ein wenig Licht, und die Gesichter sind auch nicht drauf. Deswegen liefere ich die fehlenden Informationen verbal.

Das Bild zeigt, wie Konsul Toni S. und Piano Man Frank W. ein Tauschgeschäft durchführen. Ein Streifen Flammkuchen mit Speckwürfeln gegen eine halbe Scheibe Krustenbraten. Beide sahen anschließend sehr glücklich aus. Und das ist doch die Hauptsache.

1 Kommentar:

  1. Ein herzhafter Schweinekrustenbraten schön saftig und fett. Geeignet für alle, die abnehmen wollen. Der Braten liegt zentnerschwer und tagelang im Magen und verhindert so ein rasches Bedürfnis weiterer Nahrungsaufnahme. Sein Energiegehalt ist vergleichbar mit einem Atomkraftwerk nur umweltfreundlicher. Etwas CO-Ausstoß läßt sich nicht unterdrücken.

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